Rezension: „Keyserlings Geheimnis“ von Klaus Modick

Liebe macht blind, Syphilis macht blinder oder Wie aus einem spielsüchtigen Studenten der „baltische Fontane“ wurde – vielleicht!

Graf Eduard von Keyserling, 1855 auf Schloss  Tels-Paddern in der Region Kurland (Lettland)  geboren, zählt zu den wenigen impressionistischen Erzählern deutscher Sprache, die heute noch bekannt sind. Er wird gerne als „baltischer Fontane“ bezeichnet und gehörte um die Jahrhundertwende der Schwabinger Bohème an. 1901 porträtierte Lovis Corinth den von der Syphilis gezeichneten Schriftsteller, der im Mittelpunkt von Klaus Modicks jüngstem Roman steht.
Die Münchner Jahre bilden auch die Rahmenhandlung des Romans „Keyserlings Geheimnis“.
Im Sommer 1901 verbringt der baltische Graf die Sommerfrische gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen Lovis Corinth und Max Halbe sowie deren Partnerinnen am Starnberger See. Frank Wedekind hat sich in einer Schwabinger Künstlerkneipe danebenbenommen und ist deshalb nicht dabei. Und während „Lovischen“ – der niederpreußische Dialekt ist wirklich drollig – „Edchen“ porträtiert, wächst in ihm das Interesse an Keyserlings Geheimnis. Warum ist der Graf im Alter von 23 Jahren Hals über Kopf aus Dorpat (heute Tartu, Estland) nach Wien geflohen?
Modick verwebt die Schwabinger Gegenwart kunstvoll mit der Vergangenheit. Dabei erfolgen zunächst Rückblenden in die Wiener Studienjahre, in denen Keyserling sich mit Syphilis ansteckte und schließlich für einige Jahre in die baltische Heimat zurückkehrte, um den Bruder als Gutsverwalter zu vertreten. Und endlich, im letzten Teil des Buches, wird der „Dorpater Skandal“ aufgegriffen, der aus dem spielsüchtigen Studenten der Rechtswissenschaft eine Persona non grata und letztlich den gefeierten Dichter machte. Denn ohne den Weggang aus der Heimat, wäre Keyserling nicht der geworden, der er nun mal geworden ist. Der Dorpater Skandal kam natürlich aufgrund einer Affäre zustande, die den jungen Adeligen in puncto Ehre zugrunde richtete. Liebe macht bekanntlich blind, das spürt der nicht gerade mit Schönheit gesegnete Dichter am eigenen Leib. Er verfällt Ada, die ein böses Spiel mit ihm treibt…
Viele Jahre später trifft der zusehends an der Syphilis erblindende Keyserling den halbseidenen Künstleragenten Egilhart Ritter von Huntenesch, der ihn zu einem Chansonabend mit der kurländischen Adeligen Roxane von Rönne einlädt. Irritiert von ihrem Namen – Keyserling kann eine Roxane keiner ihm bekannten Rönne-Linie zuordnen – beschließt er, gemeinsam mit Frank Wedekind den Chansonabend in Tutzingen zu besuchen. Und an dieser Stelle verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart und Keyserling erkennt, dass alles so kommen musste, wie es eben kam, oder um aus der auch im Roman erwähnten Operette „Die Fledermaus“ zu zitieren: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“
Klaus Modicks Keyserling-Roman ist an die Biografie des Schriftstellers angelehnt, der „Dorpater Skandal“ allerdings ist fiktiv. Keyserling verließ 1877 tatsächlich fluchtartig Dorpat, was genau wirklich dahintersteckte, ist bis heute ein Geheimnis. Modicks Geschichte fügt sich wunderbar in die Biografie des 1918 in München verstorbenen Künstlers ein. Auch sprachlich hat mich der Roman überzeugt. Insbesondere die intertextuellen Bezüge – es begegnet einem unter anderem viel an Fontane Angelehntes, etwa die Büdner mit Trauergesicht aus dem Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland – haben mir ein gewisses Vergnügen bereitet. Eine unterhaltsame Lektüre!

Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis. Roman
erschienen am 8. März 2018
www.kiwi-verlag.de

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