Rezension: „Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine“ von Mark Twain und Philip Stead

Ein Stinktier als Star oder Zur märchenhaften Entstehung eines verschollenen Twain-Textes

Manchmal ist der Entstehungshintergrund von Geschichten selbst schon eine großartige Geschichte. Zum Beispiel im Falle von Mark Twains „Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine“: Als der Twain-Spezialist Dr. John Bird im Jahr 2011 im „Mark Twain Papers Archive“ der University of California in Berkeley auf der Suche nach Material für ein Twain-Kochbuch war, stieß er zufällig auf eine Akte, die das Wort „Margarine“ im Titel trug. Es ging aber darin nicht ums Kochen oder Backen, sondern um eine abenteuerliche Gute-Nacht-Geschichte, die Twain 1879 seinen Töchtern Clara und Susy in einem Pariser Hotel erzählt hatte. Das erdachte Abenteuer kam bei den Mädchen so gut an, dass Twain sich einige Stichworte notierte – eine vollständige Geschichte hat er nie daraus gemacht. Und hätte Dr. Bird nicht nach Rezepten gesucht, gäbe sie es bis heute nicht… Aber weil das Leben manchmal die besten Geschichten schreibt und ein Verlag die Rechte an der Gute-Nacht-Geschichte in Stichworten erwarb, um schließlich Philip und Erin Stead, ein Künstlerpaar, das bereits mit dem berühmtesten Kinderbuchpreis der USA, der „Caldecott Medal“, ausgezeichnet wurde, damit zu beauftragen, doch noch eine richtige Geschichte daraus zu machen, gibt es „Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine“ aber doch! Allein schon diese Geschichte, die man ausführlicher erzählt im Nachwort des wunderschön gestalteten Buches findet, ist ausgesprochen unterhaltsam, wie ich finde…
Doch nun zur tatsächlichen Geschichte, die eigentlich mit den Worten „Bewacht von 2 mächtigen Drachen, die niemals schlafen“ endet, von Stead allerdings zu Ende erzählt wurde. Die Rahmenhandlung beinhaltet ein Zusammentreffen von Stead und Twain. Samuel Langhorne Clemens (Pseudonym: Mark Twain) erzählt Stead die Geschichte von Johnny, einem bettelarmen Jungen, der noch nicht viel Gutes erlebt hat. Er wohnt bei seinem bösen Großvater, der ihn schließlich auch noch damit beauftragt, sein geliebtes Huhn namens „Pest und Hungersnot“ zu verkaufen, um etwas zu Essen dafür zu besorgen. Johnny macht sich also auf den Weg zum Markt und trifft nach einer entbehrungsreichen Wanderung mit Pest und Hungersnot auf eine seltsame alte Frau, die ihn um ein Almosen bittet. Er, der sich nur von Baumrinde ernährt hat, schenkt der Alten schließlich seine geliebte Henne – er ist nämlich herzensgut. Zur Belohnung erhält er dafür Samenkörner, die er einpflanzen soll. Sie stammen ursprünglich von einer Fee und sollen nach dem Einpflanzen zu einer sättigenden Blume heranreifen. Johnny kehrt mit den Samen zurück zum Großvater, der sie sich gleich in den Mund steckt und schnell wieder ausspuckt, um tot umzufallen. Ein einziger Samen ist übriggeblieben. Diesen pflanzt Johnny ein. Die daraus wachsende Blume hegt und pflegt er, bis er sie vor Hunger aufisst… Als er sich gerade zum Sterben hinlegen will – immerhin ist jetzt alles Greifbare verzehrt – spricht auf einmal eine fremde Stimme zu ihm. Es ist das Stinktier Susy, vor dem normalerweise alle wegrennen. Aber Johnny ist anders. Er freundet sich mit Susy, die später noch eine außerordentlich wichtige Rolle spielen wird, an und muss feststellen, dass er plötzlich die Sprache der Tiere verstehen und sprechen kann. Kein Wunder! Immerhin hat er von der Juju-Pflanze gegessen… Er folgt Susy zu den Tieren, die ein Bankett veranstalten. Einige Zeit später (die Zeit, in der es Johnny einfach nur gut geht, sparen Twain und Stead aus, weil solche Phasen langweilig und nicht berichtenswert sind) stoßen Johnny und die Tiere auf ein Plakat. Gesucht wird der Prinz Oleomargarine. Es geht um eine hohe Belohnung und die Tiere überreden Johnny dazu, zum Schloss zu gehen. Sie wollen als Zeugen aussagen, doch nur wenn der König verspricht, dass sie unter seinem Schutz stehen und er ihnen nichts antut. Gesagt, getan! Johnny und Susy machen sich auf den Weg zum König, der sich als ganz schön unsympathischer Zeitgenosse herausstellt. Der Deal kommt trotzdem zustande und die Tiere berichten davon, wo der Prinz steckt… Johnny und seine Freunde machen sich auf den Weg zu der von Drachen bewachten Höhle und finden Oleomargarine tatsächlich. Aber der ist – genau wie sein Vater – alles andere als nett. Die „Riesen“, bei denen er weilt, sind jene Menschen, die verstoßen wurden, weil sie zu groß sind. Mit ihnen freundet sich Johnny auch an: „Johnny holte tief Luft und nahm seinen Mut zusammen. Dann machte er den Mund auf und fand die Worte, die die Menschen vor der ewigen, sinnlosen Gewalt bewahren könnten, wenn die Menschen sie nur ab und zu sagen und meinen würden. Johnny sagte: ‚Ich bin froh, dass ich euch kenne.‘“ (143)
Twains Märchen steckt voller Weisheiten. Es geht um Mut und Güte, Empathie und Großzügigkeit. Erin Stead bedient sich als Illustratorin verschiedener Techniken und Stile: Neben Bleistift- und Buntstiftzeichnungen finden sich auch Holzschnitte, Tuschezeichnungen und Lasercutter-Bilder in dem Buch.
„Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine“ eignet sich hervorragend zum Vorlesen und natürlich zum Selbstlesen.

Mark Twain und Philip Stead: Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine
erschienen am 15. März 2018
www.knesebeck.de

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