Der Traum vom autarken Leben
Alljährlich berechnet die Organisation „Global Footprint Network“ den „Earth Overshoot Day“. Dieser „Welterschöpfungstag“, an dem der Mensch die natürlichen Ressourcen für ein Jahr verbraucht hat – mehr kann nicht nachwachsen – und damit für den Rest des Jahres auf Pump lebt, fällt jedes Jahr auf einen anderen Tag. 1987 war das zum Beispiel der 19. Dezember. 30 Jahre später, 2017, war es bereits der 3. August. Die Bilanz für Deutschland sieht noch düsterer auch. Der „Deutschland-Erschöpfungst
Die freiberufliche Agrarwissenschaftlerin und Autorin zahlreicher Grundlagenwerke im Bereich Biogarten, Andrea Heistinger, formuliert die aktuelle Versorgungssituation so: „Global-historisch betrachtet leben wir in Mitteleuropa – sowie im Rest der industrialisierten Welt – in den letzten 50 Jahren in einer absoluten Ausnahmesituation, die so in der Geschichte der Menschheit einzigartig ist: Noch nie zuvor mussten Menschen so wenig darüber wissen, wie Kulturpflanzen und Nutztiere heranwachsen. Wir werden satt, ohne uns mit der Frage auseinanderzusetzen, wie das, was wir zum Essen brauchen, auf unsere Teller kommt. Wir werden satt, ohne selbst Getreide und Gemüse anzubauen, Tiere zu füttern, Beeren oder essbare Wildpflanzen zu sammeln. Wir werden sogar dann noch satt, wenn wir niemand kennen, der das kann und tut. Wir können uns den Versorgungsketten der globalen Food-Industrie anvertrauen. Die Frage ist ‚nur‘ noch, wie wir zum Supermarkt kommen und wann er geöffnet hat. Diese Ausnahmesituation können wir als Luxus begreifen oder als absurd, als besondere Verantwortung oder als besondere Verantwortungslosigkeit. Wie auch immer wir sie wahrnehmen – ob als Fluch oder als Segen -, es ändert nichts daran, dass diese Unfähigkeit zur Selbstversorgung – oder positiv formuliert, die Möglichkeit der Nicht-Selbstversorgung – eine globalhistorische Ausnahme ist. Eine Ausnahme, die voraussichtlich auch wieder ein Ende haben wird, über kurz oder lang.“ (23)
Die komplette Selbstversorgung einer ganzen Familie ist aufwändig. Eine partielle Selbstversorgung ist deutlich weniger anstrengend.
Auf alle Fälle muss man gut organisiert sein und viele Erfahrungen sammeln, bis man sich (einigermaßen) zuverlässig selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann.
Ich habe bereits zahlreiche Bücher zum Thema Selbstversorgung im Regal stehen und auch schon gelesen. Meist erschöpfen sich diese Bücher in der Beschreibung von Pflanzen, Hinweisen zum Anbau und zur Verarbeitung.
Die Überlegungen, die angestellt werden müssen bevor man loslegt, werden meist nur am Rande oder gar nicht thematisiert. Andrea Heistingers „Basiswissen Selbstversorgung aus Biogärten“ ist anders. Sie widmet sich realistisch der Frage, welche Möglichkeiten der Einzelne hat, um sich mit selbst angebauten Nahrungsmitteln einzudecken. Ein Test soll dazu beitragen, die eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten auszuloten. In der Regel schaffen wir es bei unserem üblichen Arbeitspensum nicht, nebenbei auch noch einen Garten zu bewirtschaften, der uns ernährt. An dieser Stelle hakt Heistinger ein. Es gibt auch andere Methoden, um an Bio-Obst aus der unmittelbaren Umgebung zu kommen. Selbsterntegärten zum Beispiel, oder die Solidarische Landwirtschaft (CSA), Lebensmittelkooperativen (Foodcoops), Genossenschaften oder eine Regionalwert AG.
Ausführlich behandelt die Autorin auch die Ressourcen, die erforderlich sind, um in einem Biogarten effizient zu wirtschaften. Es geht um Böden, um Dünger, Kompost, Mulch, Gründüngung und Wasser. Dass Gemüsegärtnerei ohne Wasser funktioniert, ist zum Beispiel ein Mythos. Lediglich unter ganz bestimmten Bedingungen, bei einem außergewöhnlichen Grundwasserstand und gutem Boden, ist es möglich, mit sehr wenig Wasser auszukommen. Auch der Anbau in Zeiten des Klimawandels und den sich daraus ergebenden Herausforderungen wird thematisiert. Im vergangenen Jahr gab es z.B. eine sehr warme Phase im März und die Obsternte fiel großteilig den Spätfrösten zum Opfer.
Bevor es um den Anbau von Gemüse und die Hühner- und Bienenhaltung geht, widmet sich die Autorin zunächst auch noch der Ausstattung und Lagerung. Also der Frage, was alles gebraucht wird und wie bzw. wo die Lagerung der Lebensmittel erfolgen kann.
Im ausführlichen Abschnitt über die „Umsetzung“ – also den Anbau und die Tierhaltung -, geht es zunächst um Beetformen, die Fruchtfolge und die Jungpflanzenanzucht. Und schließlich wendet Andrea Heistinger sich den verschiedenen Pflanzen zu: dem Wintergemüse, Salaten, Spinatpflanzen, Kohlgemüse, Zwiebelgewächsen, Fruchtgemüse, Wurzelgemüse, Hülsenfrüchten und mehrjährigem Gemüse. Ich konnte viel lernen, etwa, dass die Blätter der Süßkartoffel wie Spinat verwendet werden können.
Danach geht es um den Anbau von Obst und von Kräutern. Kapitel über Bienen- und Hühnerhaltung runden das „Basiswissen Selbstversorgung“ ab.
Der Serviceteil zum Schluss enthält u.a. einen Garten- und einen Mondkalender sowie einen Phänologischen Kalender.
Die Aufmachung hat mir sehr gut gefallen. Das Buch enthält viele Bilder und ein Lesebändchen. In farblich abgesetzten Infokästen gibt es regelmäßig Tipps von „Arche Noah-GärtnerInnen“. Arche Noah ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der „Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihrer Entwicklung“ verschrieben hat. Er hat seinen Sitz im niederösterreichischen Schiltern und veranstaltet alljährlich große Pflanzenmärkte, deren Besuch ich allen passionierten Biogärtnern nur ans Herz legen kann. Dem Verein geht es v.a. um die Erhaltung alter Sorten – eine wirklich tolle Sache!
Andrea Heistingers „Basiswissen Selbstversorgung aus Biogärten“ ist ein umfassendes Standardwerk – und kann als solches natürlich nicht im handlichen Taschenbuchformat daherkommen. Das erwartet vom Pschyrembel ja auch keiner… Das Buch hat sein Gewicht. Es ist einfach auch ein Nachschlagewerk, das man immer wieder zurate ziehen kann.
Die Lektüre ist sehr bereichernd, zumal sie viele Illusionen nimmt. Eine komplette Selbstversorgung ist enorm aufwändig und erfordert sehr viel Erfahrung. Die partielle Selbstversorgung ist aber auf alle Fälle ein guter Anfang – und Andrea Heistingers Buch liefert dazu viel Hintergrundwissen.
Andrea Heistinger; Arche Noah: Basiswissen Selbstversorgung aus Biogärten. Individuelle und gemeinschaftliche Wege und Möglichkeiten
erschienen am 28. Februar 2018
www.loewenzahn.at