„Death is not the end” – Zwischen Lebenslust und Lebensmüdigkeit
Ich lese keine Bücher, in denen Krankheiten im Mittelpunkt stehen. Diese Art von Literatur ertrage ich nur schwer. Und dann kommt Daniel Wisser daher, schreibt einen Roman über einen Mann, der unter Multipler Sklerose leidet und seinem Leben ein Ende setzen will – und ich lese dieses Buch und ich lache. Der Tod ist immer noch eins der größten Tabus unserer Zeit. Die Auseinandersetzung mit den Themen Krankheit und Tod scheuen wir. Es gehört schon einiges dazu, Leser, die diese Inhalte eher meiden, zur Auseinandersetzung damit zu verführen. Humor ist ein Mittel, das gleichzeitig Distanz und Nähe schafft – in diesem Falle die erforderliche Distanz, um über das schrullige Verhalten eines Schwerkranken lachen zu können und die nötige Nähe, um ihn trotz seiner gar nicht mal so sympathischen Art doch lieb zu gewinnen. Genau so einer ist Robert Turin – der Nachname wird auf der ersten Silbe betont, nicht auf der zweiten, wie die italienische Stadt. Dieser Robert Turin ist mittlerweile zu Herrn Turin geworden – es gab ein Leben vor der Krankheit, da war er ein IT-Fachmann, der gerne auf Partys und auch mal fremdging und ein Leben mit der Krankheit, die er „die Königin der Berge“ nennt, weil er am Tag, an dem er seine MS-Diagnose erhält im Wartezimmer des Neurologen ein Mädchen trifft, das zu ihm sagt: „Ich weiß nicht, wer du bist, aber ich, ich bin die Königin der Berge.“ (21)
Herr Turin ist noch keine 50 und lebt bereits seit zehn Jahren in einem Wiener Pflegeheim, in dem er zu seinen Mitpatienten kaum Kontakt hat, zu den Mitarbeiterinnen aber sehr wohl. Er leidet schon seit mehreren Jahrzehnten unter MS und sitzt schon lange im Rollstuhl. Noch befindet er sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, aber es ist klar, dass die Krankheit ihn Stück für Stück verfallen lassen wird. Diesen langsamen Tod und die geistige Umnachtung fürchtet er. Lieber möchte er bei vollem Bewusstsein sein, wenn der Tod ihn ereilt. Und so kommt er auf die Idee, dass er in der Schweiz die Hilfe eines Vereins in Anspruch nehmen könnte, der aktive Sterbebegleitung anbietet. Die Anmeldung ist kein Problem, aber wie soll er in die Schweiz kommen? Seine Frau Irene, die ihn nur noch am Wochenende im Pflegeheim besucht und sich auf ihre Karriere konzentriert, lehnt den Gedanken, ihrem Mann bei der Verwirklichung seines Selbstmordes zu helfen, kategorisch ab. Aber wer soll es dann machen?
Doch die Gedanken des lebensmüden Herrn Turin, der sich ständig mit seinem längst verstorbenen Kater Dukakis unterhält, sind gar nicht so trüb, wie man meinen mag. Er ist sogar eher lebenslustig als lebensmüde, vor allem aber ist er an den Brüsten der Krankenschwestern interessiert, deren Namen er sich mit Hilfe eines Schwesternalphabets merkt. Kurz, er ist ein sexistischer Grantler und Alkoholiker mit einer ausgeprägten Vorliebe für Veltliner – und doch schließt man diesen Turin ins Herz, nicht weil er krank ist, sondern weil er einen zum Lachen bringt und im Grunde ein netter Mensch ist, der sich sogar um seine Mitmenschen kümmert, wenn er sie denn mag. Den Großteil der Mitpatienten mag er nicht. In ihnen sieht er vor allem „menschliches Gemüse“.
Eine besondere Beziehung baut er zur Psychologin Katharina Payer auf, die er immer die Prengerin nennt, weil sie aus einer bestimmten Gegend stammt. Sie lädt ihn sogar zu ihrem Geburtstag ein, der für ihn einen Wendepunkt bedeutet…
Sprachlich und stilistisch ist „Königin der Berge“ etwas ganz besonderes. Mich (als Deutsche) haben nicht nur die Austriazismen entzückt. Sowohl die in direkter Rede festgehaltenen Dialoge als auch einzelne Aussagen von Turins Mitmenschen sind wie ein dramatischer Text gestaltet. Überhaupt experimentiert der Autor gerne und das macht auch den besonderen Reiz des Romans aus. Stellen, an denen allzu negative Gedanken oder gar das Thema Freitod eine Rolle spielen, werden sichtbar durchgestrichen oder sogar geschwärzt. Als habe jemand den Umgang mit derart tabuisierten Themen nicht ausgehalten und kritische Abschnitte zensiert.
Ich fasse zusammen: Ich habe ein Buch, das ich eigentlich nie gelesen hätte, verschlungen. „Königin der Berge“ ist eine Auseinandersetzung mit Dingen, die viele von uns verdrängen. Daniel Wisser sensibilisiert auf einzigartige Weise für die Themen Krankheit und Tod – nicht, indem er ein rührseliges Drama verfasst hat, sondern indem er vom Alltag eines Menschen in einem Pflegeheim erzählt, der seinen eigenen Weg geht, oder fährt, denn gehen kann er nicht mehr… Mich hat das Buch zutiefst beeindruckt, weil ich niemals gedacht hätte, dass jemand so komisch über Siechtum und Sterbehilfe schreiben kann. Den Johann-Beer-Preis und den Österreichischen Buchpreis hat der Autor absolut verdient.
Daniel Wisser: Königin der Berge
erschienen am 6. September 2018
www.jungundjung.at