Rezension: Stefan Baumann (Hrsg.): Fakten und Fiktionen.

Waren die Götter wirklich Astronauten? – Eine wissenschaftliche Annäherung an die Pseudowissenschaft

Als Kind wollte ich eine Zeitlang Archäologin werden und ich war fasziniert von den Büchern Erich von Dänikens. Ich mochte auch Indiana Jones, war mir aber bewusst, dass sowohl Indiana Jones als auch Dänikens Außerirdische eher gute Storys waren als Realität. Archäologin wollte ich vor allem deshalb werden, weil ein Verwandter meiner Mutter Archäologe war und wir das Thema Äypten in der 5. Klasse in der Schule durchnahmen.

Die Öffentlichkeit hat ein durchaus hohes Interesse an den Erkenntnissen von wissenschaftlicher Archäologie. Sendungen wie Terra X oder Galileo Mystery erreichen hohe Einschaltquoten, Bücher mit archäologischen Inhalten erfreuen sich großer Beliebtheit.
„Fakten und Fiktionen“ beschäftigt sich mit einem Graubereich dieses Interesses an wissenschaftlicher Erkenntnis: Es geht um Pseudoarchäologie – zum Teil politisch oder religiös motiviert -, die immer auf der Suche nach dem Sensationellen ist. In diesem Genre findet eine Instrumentalisierung wissenschaftlicher Methoden und der Anerkennung wissenschaftlicher Arbeit statt. Für den Außenstehenden wirken die Inhalte glaubwürdig und werden gerne interessanter und packender verkauft als diejenigen der Archäologie auf wissenschaftlicher Grundlage.

Das von Stefan Baumann herausgegebene Buch soll über dieses kulturelle Phänomen und seine Medialisierung aufklären. Wie erklärt sich die Beliebtheit populär- und pseudowisschaftlicher Themen? Was gibt es es überhaupt und was sind die Hintergründe im einzelnen?
Die Publikation geht auf eine im Wintersemester 2015/16 gehaltene Vorlesung an der Uni Tübingen mit dem Titel: „Rätsel“ und Mythen der (Vor-)geschichte – Pseudoarchäologie vs. Wissenschaft“ zurück. Abgedeckt werden die Fachbereiche Ur- und Frühgeschichte, Ägyptologie, Vorderasiatische Archäologie, Altorientalische Philologie, Theologie, Biblische Archäologie, Klassische Archäologie, sowie Alte Geschichte.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Phänomen des Wirkens Erich von Dänikens (u.a. „Erinnerungen an die Zukunft“, „Die Götter waren Astronauten“). Sein Leitgedanke: Archäologische Erkenntnisse werden von einem Mainstream unterdrückt, dem diese Erkenntnisse nicht passen, oder die als gefährlich angesehen werden.
In der Einleitung durch den Ägyptologen und Herausgeber dieses Bandes, Stefan Baumann, wird klar: Wissenschaft kann auch nicht für alles sofortige Erlärungen liefern. Zusammenhänge müssen erschlossen werden, wissenschaftliche Arbeit bedeutet oft Zeit, Aufwand, genaue Kenntnisse, bei denen auch noch verschiedene Expertenbereich ineinandergreifen müssen. Pseudowissenschaft kann mit schnellen und zumindest für Laien einleuchtenden Ergebnissen aufwarten. Die Erklärungen folgen eigenen Vorstellungen, dabei werden bereits gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft nicht gekannt, ignoriert oder bewusst übergangen. Zum Teil gibt es bewusste Falschaussagen, um Mythen zu kreieren, Theorien zu „beweisen“ oder den Stoff interessanter erscheinen zu lassen.
Bekannte Vorstellungen aus der archäologischen Pseudowissenschaft sind etwa: Außerirdische haben in prähistorischer Zeit die Erde besucht und wurden u.a. dank überlegener Technologien als Götter verehrt, bzw haben den Menschen auf eine höhere Kulturstufe gehoben oder sich auch mit diesen vereint. Man sucht in Darstellungen z.B. von Maya, Ägyptern aber auch in steinzeitlichen Höhlenmalereien nach Hinweisen auf Technologien, die „offiziell“ damals noch nicht bekannt waren, bzw. Darstellungen von Humanoiden, menschenähnlichen Wesen, die man für „Besucher“ halten könnte. Auffällig wird aber schnell, dass die Technologien, die man zu sehen meint, sehr oft dem Stand etwa des 20. Jahrhunderts entsprechen, z.B. Hubschrauber und Maschinenpistolen auf altägyptischen Hieroglyphenstelen oder „fliegende Untertassen“ in den historischen Darstellungen australischer Ureinwohner. Ein bekanntes Beispiel sind die Linien von Nazca, die oft als „Landebahnen“ gedeutet werden. Dabei ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine „außerirdische Hochtechnologie“, die die Erde erreicht haben könnte, solche Landebahnen gebraucht hätte. Hier zeigt sich die Übertragung eigener kultureller Vorstellungen auf vergangene Zeiten.
Der Begriff der „Verbotenen Archäologie“ zeigt zudem die Überschneidung mit den populären Verschwörungstheorien, Wissen würde unterdrückt und man würde den Menschen nicht die „Wahrheit“ erzählen.
Pseudowissenschaft arbeitet auch gerne mit Zahlen und Mathematik, um „Beweise“ zu liefern. In die ägyptischen Pyramiden wird viel an kosmischem Zahlenmaterial hineininterpretiert, was sich dann mit teil komplizierten Rechnereien beweisen lassen soll. Das wird im Buch auch am Beispiel des Goldhutes von Berlin dargestellt, der mit seiner Ornamentik die Interpretation zulässt, er könnte als kosmologischer Kalender gedient haben.

Der Autor kommt zum Schluss, dass die pseudoarchäologischen Erkenntnisse einfach den Nerv unserer Zeit treffen, was sich auch am kommerziellen Erfolg zeige. Die Ergebnisse erfreuen sich einer hohen Nachfrage und Rezeption. Die Leser stehen oft dem technischen Fortschritt unserer Zeit mit einer gewissen Ratlosigkeit und Skepsis gegenüber, gleichzeitig erscheint es durch die Weiterentwicklung von Technologien zunehmend stärker denkbar, dass außerirdisches Leben für uns erreichbar ist – oder umgekehrt. Die Machart populärer Bücher und Filme aus diesem Bereich befriedigt wiederum viele Bedürfnisse. „Expeditionen“ haben einen starken Erlebnischarakter, man ist als Leser richtiggehend bei Entdeckungen und der Erarbeitung von Erkenntnissen dabei. Ein anderes Bedürfnis ist im (proto-)religösen Bereich anzusiedeln. Es geht um das „Wissen“, um Herkunft und die Gewissheit, nicht alleine zu sein. Es ist eine Suche nach dem Mysteriösen, wobei es um die Phantasie von Macht geht und der Glaube an eine Hilfe von außen, gerade angesichts von „irdischen“ Problemen, wie z.B. Kriegen, Hunger, Klimawandel, eine wichtige Rolle spielt. „Pseudoarchäologie befasst sich mit der Zukunft und Vergangenheit des Menschen […] und greift dabei grundlegende Bedürfnisse des Lesers auf, die sonst nicht in dieser Einfachheit bedient werden.“ (S. 23)

Die Fachaufsätze in diesem Buch gehen dann ins Spezielle. Oft wird klar, dass nicht erst unsere Zeit die eigene (pseudowissschaftliche) Interpretation von archäologischen Erkenntnissen erfunden hat. Ideologien wie der Faschismus, sind dafür bekannte Beispiele, die teils bis heute wirksam Mythen erschaffen haben. Aber auch bei der Entstehung Roms wird auf Daten zurückgegriffen, die bewusste Schöpfungen der (später folgenden) römischen Kaiserzeit waren. Auch das (heute in der Schule gelehrte) Gründungsdatum 753 v.Chr. ist wohl eine astrologisch günstige Berechnung der damaligen Zeit. Die Entdeckung einer Moorleiche und ihre mediale Aufarbeitung wird im Aufsatz „Mordfall im Moor“ von Jonas Abele beispielhaft dargestellt. Hier wird die Frage geklärt, wie man ein Thema spannend verpacken und was überhaupt ein spannendes Thema in diesem Bereich sein kann. Um Missinterpretationen geht es u.a. in dem Aufsatz „Kein Eis in der Eiszeit?“ von Annika Rebentisch, bei dem die bereits angesprochene Betrachtung von Höhlenmalereien der Altsteinzeit im Mittelpunkt steht. Es werden hier verschiedene Theorien erläutert, wobei u.a. eine Rolle spielt, dass kein Eis zu sehen sei und die dargestellten Tiere aus unserer heutigen Sicht eher wärmerern Regionen zuzuordnen seien. Das Ganze führt dann dazu, eine Existenz der Eiszeiten in Frage zu stellen. Verschiedene Theorien und Protagonisten der pseudoarchäologischen, natürlich sehr vielschichtigen Szene, kommen zur Sprache. Oft spielen Ideologien und politische Interessen eine Rolle, teilweise auch Geltungsdrang in Kombination mit handfesten finanziellen Interessen, wie sehr interessant von Simon Herdt in dem Aufsatz über die prä-astronautischen Überlegungen von Zecharia Sitchin dargestellt wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Pseudoarchäologie eine große kommerzielle sowie ideologische Wirkmächtigkeit entfaltet, da sie verschiedenen Bedürfnissen unserer Zeit nach „Wissen“ und Verortung, aber durchaus auch Unterhaltung entgegenkommt. Sie bietet oft einfache Antworten, wo es kompliziert wird und Sensationelles, wo es bei genauerer Betrachtung vielleicht ein bisschen unspektakulärer aussieht. Das Buch erklärt Zusammenhänge kultureller und wissenschaftlicher Art, die sich natürlich auch (zumindest bei genauerem Hinsehen) kaum voneinander trennen lassen, als Phänomen auf den vorgenannten Grundlagen. „Fakten und Fiktionen“ zeigt aber auch, dass sich die Beschäftigung mit diesen Inhalten lohnt, da sie etwas über unsere tatsächlichen Bedürfnisse aussagen. Zu guter Letzt ist das Buch selbst auch eine spannende, vielseitige und unterhaltsame Lektüre.

Stefan Baumann (Hrsg.): Fakten und Fiktionen. Archäologie vs. Pseudowissenschaft
erschienen am 12. Novemer 2018
www.wbg-wissenverbindet.de

 

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