„Was gibt es Wichtigeres auf der Welt, als die Welt zu retten?“ – Lola Randl erzählt vom Glück, in einem Dorf zu leben, von ihrem großen Garten und von der Gentrifizierung auf dem Land
Die Dokumentarfilmerin Lola Randl lebt bereits seit 10 Jahren mit Mutter, Mann und Kindern auf dem Land. Im Dorf Gerswalde, das im Nordosten Brandenburgs, in der Uckermark liegt, möchte sie es ihren Kindern ermöglichen, Wurzeln zu schlagen. Filmisch hat sie ihre Erfahrungen in der Dokumentation „Von Bienen und Blumen“ (Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis 2019) verarbeitet, literarisch in „Der große Garten“. Der Roman ist wie eine Enzyklopädie aufgebaut. In kurzen Kapiteln zu über 300 Stichworten – von A wie „Abhängigkeit“ bis Z wie „Der Zweitreichster“ – erzählt die Autorin von den Veränderungen in der Natur im Jahreslauf, von ihrem facettenreichen Beziehungsleben (es gibt einen Mann, mit dem sie Haus und Bett teilt, einen Liebhaber in dem Haus an der Kurve, mit dem sie „Zelt“ spielt, einen Analytiker, den sie nicht mehr sehen will und der nicht aufhört, ihr Fotos von seinem Gemächt zu schicken, eine Künstlerin, die vielleicht eine gute Liebhaberin wäre), von der Vergangenheit des Dorfes und von seinen Bewohnern, etwa von dem Rentnerpaar Irmi und Hermann oder von der Nachbarin des Liebhabers, die netterweise immer die Kinder hütet, wenn der Mann in die große Stadt fährt, um dort ein freier Mann zu sein und sie selbst den Liebhaber besucht.
Kennzeichnend für Randls Blick auf die Welt, ist eine ironische Distanz, die auch ihre Arbeit als Dokumentarfilmerin prägt. Die Sprache ist schnörkellos und direkt – mich hat das Ganze an eine Mischung aus Karen Duve und die „Sendung mit der Maus“ erinnert, letzteres vor allem im Zusammenhang mit den Vorgängen im Garten: „Und alles, was durch den Darm des Wurms gewandert ist, wird zu fruchtbarer Erde. Und dann wächst wieder etwas daraus und dann stirbt es und dann geht es wieder durch den Regenwurm hindurch und ist wieder fruchtbare Erde. Und weil die Ausscheidungen des Regenwurms der ideale Nährstoff für das Pflanzenwachstum sind, ist der Gärtner sehr darum bemüht, dass es dem Regenwurm gut bei ihm geht.“ (24)
Es geht um Terra preta und um Kartoffelkäfer, um Triebe und um Gott, um Wochenendbesucher und um die Flucht vor sich selbst, die bei der Therapeutin immer ausführlich Thema ist, aber deren Hintergrund nie ganz geklärt werden kann, weil die Erzählerin immer zu spät zu den Sitzungen kommt. Kurz: Es geht um das Leben im 21. Jahrhundert – und die daraus resultierenden ganz persönlichen Neurosen. Davon zu erzählen, ist eine Kunst, die Lola Randl souverän beherrscht, ohne in nervige Klischees abzugleiten. Sie ist dazu in der Lage, die Gentrifizierung auf dem Land, unaufgeregt zu beschreiben, also den sozioökonomischen Strukturwandel, bei dem Ortsansässige zusehends durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt werden – üblicherweise in hippen Stadtvierteln, hier aber eben in einem Dorf kurz vor der polnischen Grenze. Die überwiegend aus Berlin kommenden Sinnsucher und Weltverbesserer, nennt Randl „die neuen Menschen“: „Die neuen Menschen wissen, dass Selbstverwirklichung auch nicht glücklich macht, und wollen sich lieber in den Kreislauf der Natur einordnen und manchmal auch gerne wieder ein Knecht sein. Denn ein Knecht muss nicht denken, sondern tut, was er gesagt bekommt.“ (140) Einige von diesen „neuen Menschen“ nimmt der Liebhaber auf, weil er jemanden braucht, der ihm dabei hilft, sein Dach zu reparieren, aber Dächer können sie eher nicht reparieren. Eine Heilerin zieht schließlich in das Haus eines „Wochenendlers“ ein: „Die Wochenendler haben gemerkt, dass ihr Haus auf dem Land sie keineswegs nur entspannt, sondern eher sogar anspannt. Seitdem sie wissen, dass Wasserleitungen einfrieren, die Regenrinne verstopft und sie jede Woche die Mülltonnen rausstellen müssen, sind sie wieder viel mehr an dem Kulturangebot in der Stadt interessiert. Sie sind ganz erleichtert, dass es eine Heilerin gibt, die ein Freund von einem Freund kennt und die jetzt bei ihnen vorübergehend heizt und die Mülltonnen rausstellt. Nur hat die Heilerin in den Häusern der Wochenendler leider kein Internet, das wollten die Wochenendler extra nicht. Deshalb sitzt die Heilerin jetzt bei uns unten im Haus, wo sie das Internet benutzt und über Skype Leute heilt und das Kind schreit.“ (283)
Am Wochenende betreiben Japanerinnen ein Café, das bei den Stadtmenschen sehr gut ankommt und die Alteingesessenen und die Zugereisten kommen ganz gut miteinander zurecht.
Ich persönlich mag Bücher, in denen es um Gärten und Landleben geht, vielleicht auch, weil ich selbst einen großen Garten bewirtschafte und man doch am liebsten das mag, was man eh schon kennt. Das realistische – also kaum oder überhaupt nicht romantisierte – Landleben ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Topos geworden. Juli Zeh lebt ebenfalls in Brandenburg und stürmte mit „Unterleuten“ die Bestenlisten. Zuletzt hat sie ein Buch über Pferde veröffentlicht.
Lola Randls Blick auf das Landleben unterscheidet sich von Juli Zehs Herangehensweise. Zeh ist eine große Erzählerin, Randl eine großartige Beobachterin, die Bilder einfängt und sie zusammenschneidet, wie sie das als Dokumentarfilmerin eben auch tut. Mir gefallen beide Blicke. Wer keinerlei Affinität zu den Themen Garten und Landleben hat, wird vielleicht schwer in das Buch hineinfinden. Lohnenswert ist es allemal.
Lola Randl: Der große Garten
erschienen am 20. März 2019
www.matthes-seitz-berlin.de