„Wenn niemand es sehen würde, würde Ivo dann trotzdem Fußball spielen?“ – Tonio Schachinger erzählt vom Alltag eines Fußballprofis
Ivo Trifunović ist 27 und hat es geschafft. Er gehört zu den wenigen Fußballern, die ein Vermögen mit ihrem Sport verdienen. Außerdem ist er glücklich verheiratet mit der umwerfend schönen Jessy und hat zwei Kinder, eine fünfjährige Tochter namens Lena und einen Sohn im Säuglingsalter namens Adnan. Und er ist verliebt in Mirna, die er seit seiner Jugend kennt. Glücklich ist er nicht, eher getrieben. Sein Leben bestimmt der Sport, der ihm alles abverlangt, aber auch einiges bietet. 100.000 Euro wöchentliches Einkommen zum Beispiel, fünf Luxuskarossen und finanzielle Freiheit. Trotzdem fehlt ihm etwas – und das liegt nicht nur am engen Korsett, das der Spitzensport ihm umlegt. Auch emotional ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten:
„In Ivos Leben ist alles in Ordnung. Er hat in drei Wochen ein Wiedersehen mit Mirna vereinbart, am Wochenende zwei Tore geschossen und keinen Grund, unglücklich zu sein. Das Einzige, was ihn wirklich beschäftigt, ist, dass Jessy ihn anlügt und vor allem, wie konsequent sie es macht. Sie lügt nicht nur, sie spielt ihm etwas vor, nämlich dass alles in Ordnung ist, und er glaubt ihr nicht.“
Ivo steht unter einem enormen Druck: „Was macht ein Mensch, wenn ihm die Zeit fehlt für alles, was er machen will und alles, was er denken muss? Wenn er sich eingeengt fühlt, Albträume hat, in denen er in viel zu engen, steinharten Dressen steckt, die ihm die Luft abschnüren? Scheiß auf andere Menschen, scheiß das das ‚man‘. Was macht Ivo?“
Um den Druck zu kanalisieren, fährt er manchmal Stunden lang durch England – so lange, bis er fast schon in Schottland ist und er wird oft aggressiv. Als er das, was zwischen ihm und Mirna ist, beendet, weil er sich an einen ehemaligen Trainer erinnert, der ihn sehr geprägt hat, beginnt die Mauer, die er um sich aufgebaut hat, zu bröckeln. Ivo rastet aus, weil Mirna nicht darüber verzweifelt, dass er die Sache zwischen ihnen beendet hat. Er hätte ja gar nicht Schluss machen müssen, findet sie, weil da gar nichts war, das beendet hätte werden können. Das ist für Ivo eine Kränkung. Mirna meint, er wäre ein Narzisst und er fängt an, sich Gedanken zu machen. Die harte Schale beginnt Risse zu bekommen. Als im Raum steht, dass er seine Familie verlieren könnte, wacht er schließlich auf…
Ivo Trifunović ist ein Unsympath, der einem sympathisch wird, weil neben seiner aufgesetzten Coolness und der ganzen Rotzigkeit immer auch Unsicherheit und Verletzlichkeit bei dem Egomanen durchschimmern. Er ringt um eine Identität als Jugo, der in Österreich oft mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert wird. Er ist ein eigensinniger Hochleister, der auch mal versagt. Sein niederländischer Trainer Kai hat es geschafft, ihn in jungen Jahren zu motivieren.
Ist Ivo ein Narzisst? Ja, wie könnte man auch nicht abheben unter solchen Bedingungen? Und auch ein Narzisst kann sich letztendlich bemühen, etwas netter zu sein.
Das Besondere an der Geschichte ist die Sprache. Schachinger verwendet Wiener Alltagssprache, die den Roman nicht nur besonders lebendig, sondern auch auf eine herbe Weise charmant macht. Vielleicht haben deutsche Leserinnen und Leser an einigen Stellen Schwierigkeiten mit einzelnen Vokabeln, aber es lohnt sich, dazuzulernen. Ohne die Austriazismen wäre der Roman weitaus fader. Und dann gibt es auch noch eine Reihe von komischen Szenen, etwa die, in der Ivo sich über den Kommunikationsdramaturgen aufregt, der den Spielern beibringt, wie sie mit Journalisten oder überhaupt reden sollen:
„Ivo erinnert sich immer wieder an die dummen Sachen, die Armin ihnen damals erklärt hat. Dass man Ich-Botschaften schicken sollte und keine Du-Botschaften, also immer ‚Ich finde‘ statt ‚Du bist‘ sagen und, dass man Kritik in Sandwichform äußern sollte, also zuert etwas Positives, dann etwas Negatives und dann wieder etwas Positives sagen sollte, als wäre jede Äußerung ein Shit-Sandwich, ein zwischen zwei netten Toastbrotscheiben eingeklemmter Haufen Scheiße. Ivo erinnert sich auch noch, wie sie diese Regeln zu zweit in Dialogen üben mussten:
‚Also, Ivo, wie fandest du Philipps Pass im letzten Match?‘
‚Scheiße.‘
‚Ganze Sätze, Ivo! Ich-Botschaften! Ich finde, dass…‘
‚Ich finde, du hast das echt scheiße gemacht, Philipp.‘
‚Nein, wir sagen nicht scheiße! Wir sagen ausbaufähig oder noch nicht ganz ideal, und wir versuchen, etwas Positives herauszukehren. Sandwich, Ivo, Sandwich! Zuerst was Gutes, dann die Kritik und dann wieder was Gutes.‘
‚Äh, deine Flanken sind gut, aber deine Pässe sind oft scheiße und…‘
‚Jetzt noch was Positives!‘
‚…und ich finde deine Freundin geil.‘“
Tonio Schachingers „Nicht wie ihr“ habe ich sehr gerne gelesen. Es ist klug, aber nicht verkopft, komisch und traurig. Ich kann es nur empfehlen!
Tonio Schachinger: Nicht wie ihr
erschienen am 26. August 2019
www.kremayr-scheriau.at