Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse – Die Geschichte meiner sozialen Herkunft

„Keeping up with the Joneses“ – Daniela Dröscher analysiert ihre Sozialisation als „Aufsteigerkind”, Frau und Tochter einer „fremden” Mutter

„Man muss etwas ‚werden‘, damit man jemand ‚ist‘. Doch muss man bereits jemand ‚sein‘, um etwas ‚werden‘ zu können.“

Didier Eribons Soziobiographie „Retour à Reims“ (dt.: „Rückkehr nach Reims“) erschien 2009 und sieben Jahre später in deutscher Übersetzung. Eribon ist Soziologe und untersucht darin sein Herkunftsmilieu und die eigene Entwicklung. Ihm geht es vor allem um den Widerspruch, dass ursprünglich Linke plötzlich rechts wählen.
Daniela Dröscher legt mit „Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft“ ebenfalls eine Soziobiographie vor, in der aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen allerdings ausgespart bleiben. Die eigene Unsicherheit in puncto Politik ist auch Thema – im Zusammenhang mit ihrer akademischen Sozialisation: „Vielleicht spürte ich, dass ich keine politische Haltung hatte, allenfalls Meinungen.“ An der Universität fühlt sie sich oft wie „FALSCHGELD“. Doch bevor sie in Trier und später in England ein Lehramts- und ein Magisterstudium der Germanistik, Anglistik und Philosophie absolviert und promoviert, erlebt sie das, was man klassischerweise als „Aufstieg“ bezeichnet.
Die Eltern sind keine Akademiker, aber bildungsbürgerlich geprägt und wohlhabend. Die Mutter ist in Polen geboren und als Kind nach Deutschland gekommen, der Vater stammt aus dem Dorf, in dem auch die Autorin aufgewachsen ist.
Ausführlich erzählt sie, wie sich ihr zunächst auf das Dorf beschränktes Soziotop Schritt für Schritt erweitert, damit aber auch der Druck steigt. „Keeping up with the Joneses“, dieses geflügelte Wort, das auf eine US-amerikanische Comicserie aus dem Jahr 1913 zurückgeht, in der ein Mann die Bedürfnisse seiner Frau erfüllen soll, die sich stets mit den Joneses vergleicht, bedeutet, dass man mithalten kann und muss. In „Zeige deine Klasse“ geht es auch um die Unsicherheiten, die ein Aufstieg mit sich bringt. Es ist vor allem die Scham, die das Leben des „Aufsteigerkindes“ prägt. Drei Ds stehen dabei im Mittelpunkt: die dicke Mutter, das Dorf und der pfälzische Dialekt.
Als Kind erlebt sie vieles als verwirrend, vor allem die oftmals widersprüchlichen Haltungen der Eltern. Während der Vater zum Beispiel ausgesprochen leistungsorientiert ist, setzt die Mutter eher auf Sozialkompetenz und eine gewisse Angepasstheit, die das Verhalten vieler Aussiedler kennzeichnet. Daniela Dröscher gelingt es sehr gut, sich in ihr Kindheits-Ich hineinzuversetzen. Die Unsicherheit, die sie von Kindesbeinen an begleitet hat, wird sehr deutlich.
Die Scham ist ein derart zentrales Thema, dass ihr ein eigener Abschnitt gewidmet ist, das „Alphabet der Scham“, in dem die Autorin sämtliche Buchstaben anhand von Schamsituationen durchexerziert. Es gelingt ihr, „blinde Flecken“ aufzuspüren und Dinge ins Bewusstsein zu heben, die vielen Leserinnen und Lesern sicher bekannt vorkommen werden.
Zentral sind auch Privilegien, die sich Dröscher vor Augen führt – bereits als Grundschulkind verfügte sie ganz selbstverständlich über Dinge, die eben nicht jeder hatte.
Dazu schreibt sie auch: „Diejenigen, die als Kind faktisch oder auch nur gefühltermaßen unter mir auf der sozialen Leiter standen oder jetzt dort stehen, werden womöglich Ressentiments angesichts meiner Privilegien empfinden. Diejenigen, die sich als Kind faktisch oder auch nur gefühltermaßen über mir befanden oder jetzt über mir stehen, werden womöglich meine Verwirrung angesichts eines doch sanften Milieuwechsels übertrieben finden oder gar versuchen, solch feine Unterschiede für unwichtig zu erklären. Genau diese Unterschiede aber durchziehen unsere Gesellschaft in Form von gläsernen Barrieren. Gerade in jungen Menschen entscheiden sie darüber, welche Lebensentwürfe auf einer inneren Landkarte als erstrebenswert erscheinen.“
Es gibt eine Scham „nach unten“ und eine „nach oben“, die dadurch empfunden werden kann, dass wir uns mit den Augen anderer sehen.
Daniela Dröschers Stil ist durch zahlreiche Anleihen, die sie bei anderen Autorinnen und Autoren macht, gekennzeichnet: Annie Ernaux, Didier Eribon, Pierre Bourdieu u.v.m. Auch dies ist für sie ein Anlass zur Scham: „Es braucht die Leihgabe von anderen. Zitate, (O)-Töne. Ich ‚bin‘ postmodern, ich habe gar keine Wahl. Das Ergebnis: Ich beginne ‚abzuschreiben‘.“ Sie betrachtet sich selbst, wie Knausgård, als „sekundäre“ Schriftstellerin.
Ich fand „Zeige deine Klasse“ unglaublich spannend, erhellend und auch berührend. Daniela Dröscher gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die „feinen Unterschiede“ (Bourdieu) zu verdeutlichen, die in unserer Gesellschaft eine herausragende Rolle spielen. Wer sich für Biografieforschung interessiert, sollte das Buch unbedingt lesen.

Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft
erschienen am 15. September 2018
www.hoffmann-und-campe.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.