„Leben ist nichts, wenn es nicht Rebellion ist.“ – Jörg Fauser erzählt „wie es in der Welt draußen zugeht“
Vor einigen Jahren las ich Jörg Fausers „Schneemann“ und verliebte mich in die lässige Erzählweise und die Sprache des Autors. Die Kolumnen, die zwischen 1980 und 1984 im Berliner tip, dem größten deutschen Stadtmagazin der 80er Jahre erschienen sind, hat der Diogenes Verlag nun erneut aufgelegt. Was für ein Glücksfall!
Bis Ende 1982 schrieb Fauser relativ unregelmäßig unter dem Pseudonym Caliban – in Anlehnung an den gleichnamigen Helden in Shakespeares „Sturm“, der die Wildheit verkörpert und dessen Name ein Anagramm von „canibal“ darstellt. Anschließend erschien eine, ebenfalls Shakespeare aufgreifende, regelmäßige Kolumne unter dem Titel „Wie es euch gefällt“.
Wie es dazu kam, erklärt Werner Mathes, der zwischen 1977 und 1985 Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins und Jörg Fausers Trauzeuge war, in seinem Nachwort.
Fauser schrieb über seine Erlebnisse in München, wo er zunächst noch wohnte, in Berlin, wo er schließlich hinzog und auf Reisen – kurz: er beschrieb, „wie es in der Welt draußen zugeht“.
Die meisten Texte haben den Charakter von Kurzreportagen. Es geht zum Beispiel um einen Boxkampf in München, um den Papstbesuch in Deutschland, den Fauser vom Krankenbett aus im Fernsehen verfolgte, um einen Besuch bei einem Astrologen und einer Wahrsagerin oder um Reisen nach Griechenland und Malta.
Aber auch die politischen Diskurse der frühen 1980er sind immer wieder Thema – etwa Peter Rühmkorfs Aufruf zum Boykott der Springer-Presse, Herbert Wehner und die Tagesschau.
Bisweilen erschrickt man angesichts der Aktualität mancher Themen, seien sie nun politischer oder populärkultureller Natur – etwa dann, wenn es um die zukünftige Vermarktung des Boxsports geht.
Fauser schreibt lässig, pointiert und witzig, da sitzt jeder Satz – jedes Wort. Er tritt in die Fußstapfen der großen Beat-Literaten und wird zum Vorbild für die Pop-Literaten, etwa für Benjamin von Stuckrad-Barre, der in mehreren seiner Bücher Fauser zitiert.
Er ist ein begnadeter Beobachter: „Eine Frau in einem Goldlaméanzug zog einen dicken Jungen aus einem Modegeschäft. ‚Bis nächstes Jahr reicht das, und dann soll Papi dir was kaufen!‘ Der Junge stand schon vor dem nächsten Schaufenster. An der Ecke erbrach sich ein Bleicher in den Papierkorb. Zwei Polizisten tauchten aus dem U-Bahnschacht auf. Eine verkrüppelte Taube hinkte ihnen hinterher. Der am Papierkorb wischte sich den Schmant von der Lacklederjacke. […] Der Bleiche ging ins Terrassencafé. Früher hatten dort die Pelzhändler und Grundstücksspekulanten ihre blonden Frauen mit Torte gefüttert. Jetzt fütterten die Heroinhändler ihre Kunden mit dem bitteren Zucker des Todes. Ich war wieder in Frankfurt.“ Knapp zehn Jahre bevor er diese Zeilen schrieb, war er selbst heroinabhängig und schaffte in Frankfurt schließlich den Entzug. Er war ein Autor, der eine Menge erlebt hatte und davon erzählen konnte. Von seinem Tod sollte später ein anderer Schriftsteller erzählen: Michael Köhlmeier erwähnte 2013 in seiner Rede zum Ingeborg-Bachmann-Preis, dass Fauser, dessen Leben wenige Stunden nach der Feier zu seinem 43. Geburtstag tragisch endete, möglicherweise nicht Opfer eines Unfalls geworden sein soll. Im Juli 1987 wurde er beim Überqueren der Autobahn bei München von einem Lkw erfasst und starb. Zum damaligen Zeitpunkt recherchierte er die Verbindungen zwischen dem Drogenmilieu und der deutschen Politik.
Jörg Fauser: Caliban Berlin. Kolumnen 1980-84
erschienen am 25. September 2019
www.diogenes.ch