„Man muss nicht suchen, immer nur finden.“ – Andreas Altmann erzählt von Menschen, Ländern und Abenteuern
Ich liebe Andreas Altmanns Bücher. In meinen Augen gehört er zu den besten Reiseschriftstellern der Welt. In „Leben in allen Himmelsrichtungen“ werden 35 Reportagen aus den vergangenen Jahrzehnten in überarbeiteter Form veröffentlicht. Es ist eine Lektüre, die sich wirklich lohnt. Schon die Widmung ist bezaubernd.
Im Vorwort zitiert er aus einer Tagebuchnotiz von Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht die Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Und das tut auch Andreas Altmann. Er erzählt vom Leben und von der unbändigen Lebenslust von Menschen, die oft schreckliche Dinge erlebt haben: „Auf den Stufen eines Hauseingangs sitzt ein Mann, daneben liegen Krücken. Freunde sind da, sie rauchen Shisha, sind guter Dinge. Beim Näherkommen sehe ich, dass ihm an beiden Füßen die vordere Hälfte fehlt. Die Fersen sind noch vollständig, der Rest wurde – Maßarbeit – weggesprengt. Zwei dicke Verbände erinnern daran, dass das Drama so lange nicht zurückliegt. Die Sonne strahlt auf sein Gesicht. ‚Al-Faw?‘, frage ich. Er nickt, auf unbeschreibliche Art ist der Mensch fröhlich. Ich sage ihm, wie ich ihn bewundere, ja, dass ich nicht verstehe, wie man in einer solchen Situation so heiter sein kann. Und der junge Kerl, vielleicht 20, antwortet ruhig, eher nachlässig: ‚Aber ich lebe, ich lebe.‘“ Solche Menschen trifft Altmann oft.
Leider findet sich keine zeitliche Einordnung der einzelnen Reportagen. Manchmal kann man zwar durch bestimmte Ereignisse Rückschlüsse auf das Entstehungsjahr ziehen – z.B. wenn es um den Eierwurf auf Helmut Kohl geht, der 1991 stattgefunden hat. Sonst bleibt das Ganze oft unbestimmt, was natürlich auch seinen Reiz hat. Die Reportagen sind dadurch zeitlos und das passt irgendwie.
Der Altöttinger Autor, der über seine Kindheit im bigotten Wallfahrtsort auch ein großartiges Buch geschrieben hat („Das Scheißleben meiner Mutter, das Scheißleben meines Vaters und meine eigene Scheißjugend“), lebt seit vielen Jahren in Paris und ist viel herumgekommen. Seine Reisen führen ihn rund um die Welt, oft in Länder, in denen die Menschen unter schwierigsten Bedingungen überleben müssen. „Kaum jemand hat sich dem Zauber und den Härten fremder Länder so ausgeliefert wie Andreas Altmann“, heißt es in der Beschreibung zu seinem Buch „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Und das stimmt so auch. Furchtlos und frei reist er zu Ganoven und lässt sich von Scharlatanen untersuchen. Ganz irre ist er zwar nicht – immerhin hat er auch alles überlebt -, aber er setzt sich schon deutlich mehr Eindrücken aus als herkömmliche Reisende.
Zum Beispiel dann, wenn er in China „Holzklasse“ fährt und dabei beinahe zerquetscht wird oder wenn er sich in die Fänge der Schönheitsindustrie begibt, um über seine Erlebnisse in der Buchinger-Klinik berichten zu können. „Hinter jeder Sucht lauert eine Sehnsucht“, schreibt er in Bezug auf das, woran Buchinger sich orientiert, denn „sein Prinzip war der komplette Mensch, nicht nur der unselige Fresssack, der geknickt vor ihm stand. Fasten als die gesündeste, chemieloseste, glücksspendendste Droge der Welt.“
Und dann besucht er auch noch eine Sexologen-Praxis in Old Delhi und lässt dort nicht nur im übertragenen Sinne die Hosen runter: „Der Ordnung halber wird noch schnell der in allen Wartezimmerheftchen angekündigte „thorough physical check-up“ durchgeführt, sprich, Hose runter! Jetzt kommt der schwierigste Moment, da ich nun schier unaufhaltbare Lachkrämpfe herausplatzen fühle, darf ich doch in Echtzeit dabei sein, wie diese Sexganoven ihr Handwerk betreiben. Einer (Dr. Gupta) legt mir das Stethoskop an meine most privat parts, der zweite (Dr. Sablok) braucht eine Lupe (deprimierend!), der dritte (Dr. Rajinder) pult mit einem Elefantenvibrator an mir herum. Ich reiße mich zusammen und höre gefasst die Diagnose. Kein einfacher Fall, kaum Reaktion, die Behandlung wäre langwierig.“
Seine Reisen führen Altmann nach Kenia, wo er mit Matatus reist, nach Bagdad, Trinidad und nach St. Pauli. Nach Äthiopien, Indien und China, in die USA, nach Afghanistan, Kapstadt und in den Sudan. Nach Tanger, Turkestan, in die Volksrepublik Kongo und nach El Salvador. Er besucht ein Palästinenserlager und die Clandestinos („Heimliche“, also illegale Einwanderer) in Tarifa, Unberührbare in Indien, die Buchinger-Klinik und ein Grandhotel im Schweizer Interlaken.
Altmann porträtiert Menschen und Städte – und er erzählt auf packende Weise von seinen Begegnungen und Abenteuern. Wer Reiseliteratur mag, kommt um diesen Autor nicht herum. Ich kann seine Reportagen nur empfehlen.
Andreas Altmann: Leben in allen Himmelsrichtungen. Reportagen
erschienen am 1. Oktober 2019
www.piper.de