„Move fast and break things“ – Philipp Staab erklärt, wie die Leitunternehmen des kommerziellen Internets proprietäre Märkte erschaffen
Philipp Staab ist Professor für die Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und Experte für digitalen Kapitalismus. In seinem 2019 erschienenen Buch erläutert er die Rolle der sogenannten Gafa-Unternehmen in einer Ökonomie der Unknappheit. Das Akronym Gafa steht für Google, Apple, Facebook und Amazon, die in den westlichen Ländern als Metaplattformen nicht mehr mit Unternehmen im herkömmlichen Sinne vergleichbar, also Teil eines Marktes sind, sondern proprietäre Märkte bilden, das heißt, selbst zum Marktbesitzer werden. Nur auf diese Weise ist es möglich, in einer Ökonomie der Unknappheit derartige Gewinne zu generieren.
Staab spricht im Zusammenhang mit den Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus von privatisiertem Merkantilismus, da der Staat weitgehend außen vor bleibt. Die Gafa-Unternehmen zahlen kaum Steuern: „Rein rechnerisch kam Amazon [im Jahr 2018] sogar auf einen negativen Steuersatz von minus ein Prozent, erhielt also Geld vom Steuerzahler. Grund dafür waren Steuergutschriften, von der Trump-Administration beschlossene Steuerkürzungen sowie legale Schlupflöcher im Steuersystem. Auch Google (12%) und Facebook (12,8%) entrichteten Umsatzsteuern weit unterhalb des offiziellen Satzes.“ (267) Sie bedienen sich allerdings der Infrastruktur und nutzen den investiven Staat, der enorme Summen in Grundlagenforschung steckt: „Die 12 Schlüsseltechnologien in Apples iPhone stammen allesamt aus öffentlich finanzierten Forschungsinitiativen.“ (65) Das Narrativ der Garagengründer – berühmt ist vor allem die Hewlett-Packard-Garage in Palo Alto, die als „Geburtsort des Silicon Valley“ gilt – ist im Grunde genommen aber ein Mythos, denn ohne staatliche Hilfen wäre es auch in diesem Fall nicht gegangen.
Im Gegensatz zum frühkapitalistischen Merkantilismus absolutistischer Herrscher, der die Finanzkraft und Macht des Staates stärken sollte (vgl. u.a. Britische Ostindien-Kompanie als Trading Company von Gnaden absolutistischer Herrschaft), werden nun private Unternehmen zu Marktbesitzern, die „nicht primär wertschaffend, sondern wertextrahierend tätig sind“. (48) Durch sie Sättigung der Märkte (wir leben in einem Zeitalter der Unknappheit, zumindest im Hinblick auf Konsumgüter) ist Wachstum nur noch möglich, wenn man selbst den Markt regelt und Druck auf die Marktteilnehmer ausüben kann: Man kann sich von einem gleich bleibenden Kuchen immer größere Teile abschneiden. Amazon tut dies im Bereich des E-Commerce, indem es den Unternehmen, die Zugang zum Markt haben wollen, Preise und Konditionen diktiert, die sich auch ändern können. So werden die Gafa-Unternehmen zu Gatekeepern in den verschiedensten Bereichen. Der Konsument profitiert zunächst von dieser Entwicklung, da er in puncto Service und Preis verwöhnt wird. Äußerst bedenklich ist allerdings die Entwicklung, die sich im Zuge des digitalen Kapitalismus auf dem Arbeitsmarkt vollzieht. Methoden, die im Handel Anwendung finden, etwa Bewertungssysteme, die Produzenten unter Druck setzen, werden auf den Arbeitsmarkt übertragen. So hat beispielsweise Zalando die Mitarbeitersoftware Zonar eingeführt, die ständiges gegenseitiges Feedback durch Chefs und Kollegen ermöglicht. So findet eine Informations- und Leistungskontrolle statt, die aufgrund der Anonymisierung der Bewertenden kein bisschen transparent ist. Interfaces, Trackings und Ratings dienen der Arbeitskontrolle und werden von einigen Beschäftigten auch gezielt unterlaufen. So erklärt eine philippinische Übersetzerin, die durch ständige Screenshots überwacht wird, zum Beispiel: „Da ich technisch versiert bin, verbinde ich meinen Laptop mit dem Fernseher, dann habe ich zwei Bildschirme. Ich schaue Youtube, während ich auf der Plattform arbeite. Der Screenshot funktioniert nur auf dem Hauptmonitor.“ (239f.)
Der Druck, der auf Produzenten ausgeübt wird, wird also an die Beschäftigten weitergegeben. Auf diese Weise vollzieht sich nicht nur ein grundlegender Wandel des Wirtschaftssystems, sondern auch im Bereich der Arbeit.
Philipp Staab hat ein wichtiges und ausgesprochen aufschlussreiches Buch über Transformationsprozesse geschrieben, die uns alle betreffen. Ich kann es jedem, der sich für Digitalisierung, Gesellschaftspolitik oder Wirtschaft interessiert nur ans Herz legen!
Philipp Staab: Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit
erschienen am 27. Oktober 2019
Suhrkamp Verlag