Von Volksrechenmaschinen und Vaterländischen Miniaturrechnern – GLM-3 spuckt „Dunkle Zahlen“ aus, die Matthias Senkel kongenial übersetzt
Vor zwei Jahren erschien „The Bestseller Code“, ein Buch über einen Algorithmus, der angeblich bis zu 90% korrekte Aussagen zur Frage, ob ein Buch ein Bestseller wird oder nicht, liefern konnte. Dazu wurde er einfach mit diversen Bestsellern gefüttert – und siehe da: der Algorithmus hatte den Bogen ziemlich schnell raus.
Was aber, wenn nicht das Potenzial eines Buches, sondern ein ganzes Buch gefragt ist? Die Lösung kennt Matthias Senkel, Schriftsteller und Bassist aus Greiz: GLM-3!
Dieses Jahr sind 12 Frauen, sieben Männer und eine Golemartige Literaturmaschine für den Deutschen Buchpreis nominiert. Senkel steht lediglich als Übersetzer auf dem Cover. GLM-3 wurde mit der ganzen russischen Literatur gefüttert und hat nun das ausgespuckt, was Golemartige Literaturmaschinen nun mal so ausspucken: „Dunkle Zahlen“! Der Untertitel ist eine Gattungsbezeichnung: Ein Poem. So wie Gogols „Tote Seelen“.
Ich muss gestehen, dass mir die Lektüre großes – teilweise ein diebisches – Vergnügen bereitet hat. Sie hat mich allerdings stellenweise auch Nerven gekostet. Ist das Buch nur was für Nerds? Nein! Es ist etwas für Freunde der experimentellen Literatur. Wer „Finnegans Wake“ mag, wird wahrscheinlich auch Senkel, pardon, GLM-3 mögen. Mit, sagen wir mal, mindestens 60%iger Wahrscheinlichkeit…
Worum geht es? Um die russische und sowjetische Geschichte der Digitalisierung, wobei Fiktion und Realität verschwimmen, denn immerhin wurde GLM-3 mit russischer Literatur und nicht mit sowjetischen Sachbüchern gefüttert… Satirisch werden Geschichten von Rechenmaschinen und vom größten Mikrochip der Welt bearbeitet, von Genies und Ganoven, von Spinnern und Spionen. Ferritfitzelchen kommen auch drin vor. Als Leser taucht man ein in die Welt von „Nu pogodi“ (der Eier fangende Wolf) und Tetris, von Ternärrechnern, Trits und Trytes, von Volksrechenmaschinen und dem Vaterländischen Miniaturrechner (OMEM). Außerdem kommen vor: ein Fisch, der Wünsche erfüllen kann, aber leider zu leise spricht und eine Frau, die sich in einen Vogel verwandelt und dann durch den Abfluss in der Kanalisation landet… Ein Hauptstrang der Erzählung kreist um die Programmierer-Spartakiade, die 1985 in Moskau stattfindet. Die Übersetzerin Mireya muss sich auf eine verrückte Suche machen (die wahrlich wachowskiesk endet!), denn die kubanische Mannschaft, für die sie übersetzen soll, ist plötzlich verschwunden…
Experimentierfreudig und voller Übermut werden hier Geschichten erzählt, die mich oft laut auflachen ließen. Manchmal kam ich aber auch überhaupt nicht mehr mit… Macht nix! Ich hatte meinen Spaß und kann das Buch Freunden experimenteller Literatur nur ans Herz legen.
Matthias Senkel: Dunkle Zahlen. Poem
erschienen am 9. Februar 2018
www.matthes-seitz-berlin.de