„Vielleicht besitze ich die Bienen gar nicht, sondern sie besitzen mich.“ – Norbert Scheuer erzählt vom Versuch, die letzten Kriegswinter zu überleben
Norbert Scheuer lebt in der Eifel und siedelt auch die Geschichte um den Ich-Erzähler und Tagebuchschreiber Egidius Arimond in dieser Gegend an. Darin geht es um den harten Alltag zwischen Januar 1944 und Mai 1945. Die Aufzeichnungen setzen ein, nachdem ein amerikanisches Flugzeug in der Gegend abgestürzt und der Pilot geflüchtet ist. Zwischendurch gibt es immer wieder Fragmente aus Texten seines Vorfahren, des Klosterbruders Ambrosius Arimond, der bereits im 15. Jahrhundert Bienen züchtete, zu lesen. Edigius, der vor der Zeit des Nationalsozialismus Latein- und Geschichtslehrer war, übersetzt während des Krieges die Aufzeichnungen seines Urahnen, der das Kloster im Alter von 48 Jahren verlassen musste, weil er sich in ein Bauernmädchen verliebt hatte.
Die Frauen sind auch für Egidius ein großes Thema. Als Epileptiker ist er wehruntauglich und bleibt in seiner Heimatstadt Kall zurück, wo er eine Liebschaft mit Charlotte, der Frau des Kreisleiters beginnt. Vor allem aber kümmert er sich um die Bienen und hilft Flüchtlingen über die nahegelegene Grenze nach Belgien. In einem präparierten Bienenkasten rettet er bis kurz vor Kriegsende Juden, denen er vier Lockenwickler mit Bienenköniginnen an die Kleidung heftet, damit die schwärmenden Bienenvölker sie bei einer Kontrolle wie ein schützender Mantel umhüllen.
Und während die friedlichen Bienen Menschen retten und als Winterbienen den Stock warm halten, kreisen am Himmel Flugzeuge, die die Gegend immer stärker unter Beschuss nehmen. Irgendwann wird sogar auf spielende Kinder und Bauern auf ihren Feldern gefeuert. Das „Brummen feindlicher Flugverbände“ (101) ist allgegenwärtig. In dem Buch enthalten sind auch 13 schwarz-weiße Zeichnungen feindlicher Flugzeuge. Angefertigt hat sie Scheuers Sohn Erasmus. Im Nachwort entwirft der Autor eine Herausgeberfiktion, in der auch erklärt wird, was nach dem Abbrechen der Aufzeichnungen mit Egidius Arimond passiert ist.
Norbert Scheuer erzählt in leisen Tönen von einer schrecklichen Zeit. Die allgegenwärtige Bedrohung durch feindliche Flugzeuge ist für Arimond noch nicht alles – durch seine Krankheit läuft er auch ständig Gefahr, von den Nationalsozialisten umgebracht zu werden. Dank seines Bruders, der ein erfolgreicher Flieger geworden ist, wird er verschont und auch einige Zeit mit dem lebenswichtigen Medikament Luminal versorgt, das epileptische Anfälle verhindert. Doch nachdem der Militärarzt gefallen ist, mit dem Egidius‘ Bruder befreundet war, muss der Bienenzüchter selbst versuchen, an das Medikament zu kommen, das im Deutschen Reich kaum noch verfügbar ist, weil Epileptiker von der „Vernichtung lebensunterwerten Lebens“ betroffen waren.
„Winterbienen“ ist ein berührender Roman, in dem auch viel über das Leben der Bienen erzählt wird. Das Thema „Krieg und Bienen“ wird auch in Andrej Kurkows aktuellem Roman „Graue Bienen“ verhandelt. Kurkows Buch fand ich persönlich besser, weil mir der Protagonist näher war. Kleine Abstriche muss ich bei „Winterbienen“ leider auch machen, weil einige Dinge darin nicht gut recherchiert sind. Auch wenn das kleinlich anmutet, aber wenn ich irgendwo lese, dass Ende September gerade der Fingerhut am Gartenzaun blüht und im Mai Schneeglöckchen, dann finde ich das ärgerlich, weil es von einer gewissen Schludrigkeit zeugt.
Im Großen und Ganzen empfand ich „Winterbienen“ aber als interessante und spannende Lektüre.
Norbert Scheuer: Winterbienen
erschienen am 29. August 2019
www.chbeck.de