Literatur in Schwandorf: Kirstin Rokita liest aus Nassira Belloulas Roman „Marias Zitronenbaum“

„Ein Raum, in dem mir nur das Exil Gesellschaft leistet“

Es war ein großer Glücksfall, der sich gestern in Schwandorf ergeben hatte. Das Buch „Marias Zitronenbaum“ (im französischen Original: „Aimer Maria“) der kanadisch-algerischen Autorin Nassira Belloula ist gerade mal seit ein paar Tagen in deutscher Sprache lieferbar und die Schriftstellerin, die bis 2010 in Algerien lebte und mittlerweile im kanadischen Montréal (Québec) wohnt, ist zur Zeit Stipendiatin des Freistaats Bayern im internationalen Austauschprogramm des Oberpfälzer Künstlerhauses und des Fördervereins Oberpfälzer Künstlerhaus e.V.

 

Kirstin Rokita, Nassira Belloula und Elke Horsch

Und so kam es dazu, dass die Regensburger Schauspielerin Kirstin Rokita in Anwesenheit der Autorin aus dem neu erschienenen Buch lesen konnte. Gut 30 literaturbegeisterte Zuhörer:innen hatten sich im „Le Café“ der Firma Horsch im Schwandorfer Stadtteil Ettmannsdorf eingefunden, um der Geschichte von Maria zu lauschen und von der Autorin etwas über den Entstehungshintergrund des Romans und weitere Pläne zu erfahren.
Vor allem die Beobachtung des Alltagslebens algerischer Frauen hatten Belloula zu „Marias Zitronenbaum“ in
spiriert. Eine Leserin schrieb ihr sogar einmal: „Wir sind alle Marias.“
Es ist kein einfacher Stoff, den die Autorin bearbeitet. Es geht um die Unterdrückung von Frauen, das Patriarchat, das weitgehend unhinterfragt bleibt – selbst Marias Tochter ist erstaunt angesichts der Rebellion ihrer Mutter.

In sprachgewaltigen Bildern bringt Maria zum Ausdruck, wer sie wirklich ist und wen sie wirklich liebt: Ali. „Wenn ich an ihn denke, trägt mein Tag blau“, fasst sie ihre Gefühle für ihren Cousin zusammen. Und dann gibt es noch ihren Ehemann, einen Narzissten, der in Maria nur ein Objekt sieht, das ihm zu Diensten zu sein hat, Die Szene, die eine Fernsehsendung aufgriff, in der ein Imam vom weiblichen Gehorsam und der Belohnung dafür – die jenseitige Ewigkeit mit dem Ehemann -, berichtete, sorgte beim überwiegend weiblichen Publikum für Lacher. Nein, das sei nicht der Himmel, das wäre ja die Hölle, fasste eine Zuhörerin das Dilemma, in dem Maria steckte, zusammen.
Als weibliche Vorbilder nannte Belloula Marguerite Duras, Françoise Sagan, Simone de Beauvoir und die Algerierin Assia Djebar.

Bei der Diskussion im Anschluss an die Lesung kam es noch zu einigen erhellenden Erkenntnissen: Wenngleich die Autorin von einer Leserin einmal den Satz „Wir sind alle Marias“ gehört hatte, ist Marias Geschichte nicht die typische Geschichte algerischer Frauen. Die Annahme, dass Frauen in Algerien heute noch systematisch unterdrückt würden, trifft so nicht mehr zu. Belloula wurde in ihrem Heimatland für mehrere Preise nominiert, was im Publikum für Erstaunen sorgte. Nein, sie wird nicht verfolgt. Die 90er Jahre wären schlimm gewesen, erklärt die Autorin. Damals gab es Unruhen im Land. Mittlerweile wären die meisten Frauen aber ziemlich emanzipiert. „Arabische Länder“, die wir in Europa oft als eine kulturelle Einheit begreifen, gibt es so nicht. Es gibt verschiedene Länder, in denen Religion und Patriarchat unterschiedlich starken Einfluss auf das Leben von Frauen haben.
Elke Horsch, die in deutscher und französischer Sprache souverän durch den Abend führte, gelang es hervorragend, Nassira Belloula zum Erzählen zu bringen. In dem Roman, an dem die Autorin aktuell arbeitet, geht es um Ehrenmorde. Ein Mann kehrt in sein Heimatdorf zurück – und dann passiert etwas Erstaunliches.
Den Veranstalter:innen ist ein stimmungsvoller und wunderbar abwechlsungsreicher Abend gelungen. Kirstin Rokita las gefühlvoll und packend im Schatten eines echten Zitronenbaum vor. Das Publikum war begeistert.

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